Was wäre, wenn…? Debatte um Schöninger Speere

zuletzt aktualisiert: Freitag, 16. Mai 2025, 11:51 Uhr

Die Schöninger Speere und das Forschungsmuseum Schöningen, das Paläon, werfen Fragen auf. Natürlich im wissenschaftlichen Sinn, wie es sich gehört. Doch auch im gesellschaftlich-kulturellen mehr denn je. Zunächst ist es die Problematik ausbleibender Besucherströme. Es ist der Wechsel in der Leitung von der Paläon GmbH zum Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und zu den 3Landesmuseen Braunschweig – innerhalb von zwölf Jahren. Und nun das: Eine neue Studie gibt an, dass die Schöninger Speere nicht 300.000, sondern gar nur 200.000 Jahre alt seien. Was wäre, wenn das zuträfe?

Neue Studie wirft Zweifel auf

Kürzlich hat der Archäologe Dr. Olaf Jöris vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) mit seinen Kollegen in der Fachzeitschrift „Science Advances“ einen Artikel veröffentlicht, der eben dieses brisante Thema um die Verjüngung der Schöninger Speere zum Inhalt hat. Gleich eingangs lautet es darin einer Feststellung gleich: „Neudatierung der Schöninger Jagdspeere weist auf Intensivierung kooperativen Verhaltens bei Neandertalern vor etwa 200.000 Jahren hin.“ In der offiziellen LEIZA-Pressemitteilung heißt es hierzu: „Der jüngere Altersansatz schmälert die Bedeutung der Schöninger Funde in keiner Weise. Vielmehr betonen die neuen Befunde den Beitrag der Fundstelle für das Verständnis der menschlichen Verhaltensevolution. Mit dem korrigierten Alter ist Schöningen nun in die Mittlere Altsteinzeit, das Mittelpaläolithikum, und die Zeit früher Neandertaler zu stellen.“ Das klingt zwar gut, aber ist es das auch? Für das Forschungsmuseum, für die Schöninger, für die 3Landesmuseen? Und was bedeutet das für die Geschichte der Menschheit? Immerhin haben die Speere ganz neue Erkenntnisse in die Jagdtechniken und das Leben eines Homo heidelbergensis gebracht. Vergleichbares wurde bis heute nicht entdeckt. Das soll nun alles anders sein?

Die Schöninger Speere sind im paläon Forschungsmuseum ausgestellt. Sind sie wirklich 300.000 Jahre alt? Eine neue Studie wirft Fragen auf
Die Schöninger Speere sind im paläon Forschungsmuseum ausgestellt. Sind sie wirklich 300.000 Jahre alt? Eine neue Studie wirft Fragen auf

Biochemische Datierungsmethoden führen zu neuer Annahme

Die Datierung der Speere war in der Vergangenheit anhand von Erdschichtenabfolgen (Stratigrafien) sowie physikalischen Analysen mittels Thermolumineszenz und Uran-Thorium-Vorgehen bereits von 400000 auf 300000 Jahre geändert worden – dieses Alter hat bis dato Bestand. Schon dabei hatte Dr. Olaf Jöris, Mitautor des „Science Advances“-Artikels sein Mitwirken. Seit 2009 postuliert er – entgegen seiner eigenen vorherigen Einschätzung –, dass die Speere sogar noch jünger sein müssten. Auch wenn der Fundort Schöningen nach wie vor außergewöhnlich sei, sein Befund mit den Speeren neben den Pferdeknochen nahezu selbsterklärend und einzigartig, sei doch die bisherige Datierung für ihn schwer nachvollziehbar. Im Zuge vorhergehender archäozoologischer Arbeiten durch die Leiterin des Monrepos-Forschungszentrums Prof. Dr. Sabine Gaudzinski- Windheuser, die dem Leibnitz-Zentrum angegliedert ist, konnten die Archäologen des LEIZA und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erstmals selbst Altersdatierungen direkt aus der eingelagerten Fundschicht der Schöninger Speere vornehmen. Diese Proben haben sie mit dem biochemischen Verfahren einer Aminosäuren- Racemisierung untersucht – und sich mit dem neuen Ergebnis bestätigt gesehen. Bei der Aminosäuren- Racemisierung geht es um die Umwandlung von linken Aminosäuren im lebendigen Zustand der Lebewesen zu rechten Aminosäuren nach dem Tod. Das Verhältnis von rechten zu linken Aminosäuren zum Zeitpunkt der Untersuchung kann somit Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt geben.

Gegenüber Newsify38 bekräftigt Jördis: „Wir haben unsere Daten mit denen der zoologischen Befunde zu den Pferdeherden, der soziologischen Befunde zur Kooperation der Menschen, den stratigrafischen Gegebenheiten sowie Pollenanalaysen zusammengetragen. Entsprechend Erkenntnisse haben wir nun vorgestellt.“ Seiner Meinung nach spreche vieles für diese Darstellung, die es nun weniger zu verifizieren als zu präzisieren gelte.

Mueseumsdirektor und Forscher des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege bleiben anderer Meinung

Dr. Dirk Leder, Archäologe vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege zeigt sich gelassen. „Ich habe die Studie natürlich verfolgt, und sie enthält interessante Ergebnisse. Doch sie ist eine Studie von vielen. Die Mehrzahl spricht immer noch für die Datierung um 300000 Jahre.“ Vielleicht habe der Anstoß sein Gutes. So könnten im Team nun kleinere Maßnahmen für neue Untersuchungen angestoßen werden. Auch Mike Reich, Direktor des Naturhistorischen Museums der 3Landesmuseen Braunschweig hatte sich gegenüber der „Braunschweiger Zeitung“ geäußert, den Beitrag zu kennen. Diskussionen seien stets Teil der Wissenschaft. Dennoch werfe die Studie, wie die „BZ“ ihn zitiert, „doch einige Fragen auf“ und sei auch nicht „in Stein gemeißelt.“

Ein Speer im Fundkomplex neben Pferdeknochen
Einer der hölzernen Speere – Speer II – der Fundstelle Schöningen, Niedersachsen, umgeben von Knochen, © Peter Pfarr. Mit freundlicher Genehmigung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege (NLD) .

Entsprechend werden weitere Debatten, Diskussionen und Forschungsprojekte folgen, um die „alten“, die „neuen“ oder gänzlich andere Erkenntnisse zu den Speeren zu gewinnen. „Diese Analyse wird nicht allein im Raum stehen bleiben“, so Jöris. Was aber auf jeden Fall mit im Raum steht, ist die Frage: „Was wäre, wenn …“ die Annahmen von Olaf Jöris und Team stimmten? Wäre es der finale Todesstoß für das Museum, welches seit Jahrzehnten hinsichtlich seiner Wirtschaftlichkeit kränkelt. Oder könnten die neuen Forschungen gar eine Wiederbelebung hervorrufen? Was bedeutet die Studie für die Erkenntisse eines Homo heidelbergensis? Wird die Bewerbung als UNESCO-Weltkulturerbe unter der neuen Annahme leiden? Dazu Dr. Leder, der Welterbereferent: „Nein! Der Welterbeantrag läuft weiter. Die Fundstelle Schöningen ist und bleibt – auch unabhängig von dieser neuen Studie – unvergleichlich in der Welt.“ Der erste offizielle Antrag wird bis September 2026 gestellt, mit Empfehlungen der UNESCO zurückkommen und bis 2030 final eingereicht.

Titelbild:

Archäologen des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA) und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben gemeinsam mit weiteren Experten in ihrer Studie erstmals Altersdatierungen direkt aus der Fundschicht der Schöninger Speere vorgelegt. © Aritza Villaluenga

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